Europäische Gasspeicher unter Druck
Europa steht vor einer schwierigen Aufgabe: die Gasvorräte aufzufüllen, bevor die kälteren Monate einsetzen. Nach dem vergangenen Winter sind die Speicher im Durchschnitt nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt. Ob wir den nächsten Winter ohne größere Probleme überstehen, hängt davon ab, was in den kommenden Monaten passiert.
Warum die Vorräte zurückbleiben
Gas ist in vielen europäischen Ländern nach wie vor unverzichtbar für Heizung und Stromerzeugung. Normalerweise füllt man die Vorräte im Sommer auf, damit im Winter genug vorhanden ist. Dieses Jahr ist das deutlich komplizierter. Der Winter war strenger als erwartet, wodurch besonders viel Gas verbraucht wurde. Gleichzeitig ist die Lieferung aus Russland stark zurückgegangen, insbesondere seit die Durchleitung über die Ukraine im Januar zum Erliegen gekommen ist. Dadurch sind die Speicher schneller geleert worden als geplant.
Wie es normalerweise funktioniert – und warum es jetzt hakt
In normalen Jahren sorgen Händler dafür, dass die Speicher voll werden. Im Sommer ist Gas oft günstiger; man kauft dann ein, lagert es ein und verkauft es im Winter, wenn der Preis steigt. So bleibt der Markt im Gleichgewicht und die Vorräte werden ohne allzu viel Aufwand aufgefüllt. Dieses Jahr funktioniert dieser Mechanismus nicht gut. Kosten und Risiken sind höher, und die Preisentwicklung macht den Händlern zu schaffen.
Seltsame Preissignale am Markt
Der Markt zeigt ein ungewöhnliches Muster: Sommerpreise liegen relativ hoch, während die Kontrakte für den kommenden Winter niedriger bepreist sind. Das nimmt Händlern den Anreiz, jetzt in großem Umfang einzukaufen und einzuspeichern. Die Folge? Unsicherheit, ob später genug in den Speichern ist. Bleiben die Preise hoch, kann die Nachfrage nachlassen, was riskant ist, falls der Winter doch streng ausfällt. Fallen die Preise hingegen zu weit, werden andere Regionen attraktivere Abnehmer, und Europa droht LNG-Ladungen zu entgehen.
Geopolitik wiegt schwer
Der Krieg in der Ukraine liegt wie ein Schatten über dem Gasmarkt. Russische Pipeline-Lieferungen sind bereits stark eingeschränkt, und das Vertrauen in eine stabile Versorgung ist beschädigt. Hinzu kommt, dass die Ukraine selbst mehr Gas benötigt, da Teile der Energieinfrastruktur getroffen wurden. Das erhöht den Druck auf einen ohnehin knappen Markt und nährt die Unsicherheit mit Blick auf den Winter.
LNG als Rettungsanker, mit einigen Wenn und Aber
Flüssigerdgas (LNG) ist in den vergangenen Jahren zu Europas wichtigster Alternative geworden. Mit Schiffen unter anderem aus den USA und Katar lassen sich schnell zusätzliche Mengen heranholen. Doch LNG folgt dem Weltmarkt: Wer am meisten zahlt, bekommt die Ladung. Um rund 40 Euro pro Megawattstunde ist der Preis gerade hoch genug, um Schiffe nach Europa zu locken; fällt dieses Niveau, können etwa asiatische Käufer wieder dominieren. Man sieht: LNG hilft, ist aber keine Garantie für ausreichendes Angebot, wenn alle gleichzeitig einkaufen wollen.
Helfen milder Frühling und Sommer?
Ja, milde Temperaturen wirken sich positiv aus. Weniger Heizbedarf bedeutet, dass ruhiger nachgefüllt werden kann, ohne dass der Preis sofort nach oben schießt. Auch kann die EU mehr Flexibilität bei den Speicherregeln prüfen, damit die Länder Zeit bekommen, die Füllstände zu erhöhen. Gleichzeitig gibt es ein klares Ziel: Bis zum 1. November müssen die europäischen Gasspeicher im Durchschnitt zu 90 Prozent gefüllt sein. Ob das erreichbar ist, hängt von Preisen, Versorgung und der geopolitischen Lage ab.
Was steht in den kommenden Monaten auf dem Spiel?
Viel. Wenn die Preise nicht allzu stark schwanken und genügend LNG anlandet, kann Europa einigermaßen vorbereitet in den Winter gehen. Werden die Lieferungen aus Russland weiter eingeschränkt, fließen LNG-Ströme in andere Märkte ab oder steigt die Nachfrage aus der Ukraine, kann sich das Bild schnell drehen. Die kommenden Monate sind daher entscheidend für die Energiesicherheit.
Was merkst du davon?
Unsicherheit schlägt sich oft in höheren Rechnungen nieder. Werden die Vorräte nicht schnell genug aufgefüllt, können Gas- und Strompreise weiter steigen. Haushalte mit Gasheizung spüren das direkt im Portemonnaie. Unternehmen, die Gas für die Produktion nutzen, sehen sich mit höheren Kosten konfrontiert, was letztlich auch wieder in die Verbraucherpreise durchschlägt.
Das Fazit
Europa balanciert in diesem Sommer auf einem schmalen Grat. Genug und bezahlbares Gas bis November erfordert eine Mischung aus stabilen Preisen, ausreichendem LNG, milden Temperaturen und etwas geopolitischem Rückenwind. Gelingt das, kommen wir ohne größere Störungen durch den Winter. Geht es an einer oder mehreren Fronten schief, bleibt es spannend – für den Markt und für deine Energierechnung.